Der Teufel steckt im Detail
Natürlich möchtest du, dass besonders deine Hauptfigur möglichst lebensecht ist, und da ist der erste naheliegende Gedanke, möglichst viele Details einzubauen, die du aus dem eigenen Alltag kennst, damit die von dir gewählte Perspektive authentisch wirkt. Das trifft besonders zu, wenn du eine Innenperspektive gewählt hast, also einen personalen oder einen Ich-Erzähler. So werden deine Leser*innen leichter eine Beziehung zu deiner Figur aufbauen, richtig? Nun, das stimmt nur bis zu einem gewissen Grad. Natürlich ist es gut und ratsam, deinen Roman möglichst realistisch gestalten zu wollen. Aber pass auf, dass du dabei nicht übers Ziel hinausschießt, denn das wirkt auf die Dauer ermüdend und hemmt den Lesefluss.
Eine gesunde Mischung aus Realismus und Fantasie
Ein Beispiel: Wenn deine weibliche Hauptfigur das Haus verlässt, musst du nicht detailliert aufzählen, wie sie Handy, Portemonnaie und Make-up in ihre Handtasche steckt, Schuhe und Jacke anzieht, sich den Schlüssel nimmt, die Tür öffnet, diese wieder schließt und mit dem Schlüssel abschließt, um den dann auch in die Handtasche zu stecken. Denn all das denken die Leser*innen bereits mit, wenn du einfach nur schreibst: „Sie nahm ihre Tasche und ging.“ Ein Buch ist eben nicht die Realität und soll daher auch kein Eins-zu-eins-Abbild von ihr sein – es wirkt authentischer, wenn du selbstverständliche Vorgänge weglässt und so deinen Leser*innen mehr Spielraum für ihre eigene Fantasie eröffnest. Nähe zu ihnen stellst du statt über die überbordende Beschreibung von Sachdetails eher über Emotionen und Anspielungen her. Unterschätze dein Publikum also nicht und erkläre nicht zu viel, um auf Nummer sicher zu gehen, sondern setze die Handlungen und Wahrnehmungen deiner Figur gezielt und selbstbewusst. Deine Leser*innen merken das und werden dir folgen.
Das andere Extrem, nämlich zu viel oder etwas inkonsistent wegzulassen, ist allerdings auch nicht ratsam. Macht deine Figur eine Tür zu, muss sie diese natürlich vorher auch aufgemacht haben oder durch die bereits geöffnete Tür hindurchgegangen sein. Fährt sie mit dem Auto los, muss sie sich vorher dort hineingesetzt haben.
Trau dich!
Eine weitere Falle beim Ausgestalten der Perspektive ist es, deine Figuren inhaltlich zu naiv wirken zu lassen. Das machen viele Autor*innen, und zwar nicht, weil sie ihren Figuren nicht genug zutrauen, sondern eher aus der Angst heraus, dass die Leser*innen die Pointe nicht sehen oder verstehen. Daher reiben sie das Problem, das aus dem Plot bereits offensichtlich ist, ihren Fans noch einmal überdeutlich unter die Nase. Hier können wir dir raten: Traue auch hier dir und deinen Leser*innen ruhig mehr zu. Wenn deine Hauptfigur am Anfang einen echt netten Typen kennenlernt, der sich die ganze Zeit um sie bemüht und ihr regelmäßig sagt, wie toll er sie findet, sind Sätze wie „Katie war sich nicht sicher, was er ihr damit sagen wollte.“ oder „Konnte das sein? Mochte er sie wirklich?“ ab einem bestimmten Punkt überflüssig. Reagiert deine Hauptfigur zu künstlich verzögert, um den Plot zu verlängern oder den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten, wird sich dein Publikum nicht ernst genommen vorkommen – und dein Spannungsbogen funktioniert dann nicht mehr.
Stringenz ist A und O (das gilt natürlich auch für auktoriale, also allwissende Erzählstimmen). Versuch dir eine Szene mit einem Blick von außen durchzulesen, das heißt aus einer Perspektive, die über all die zusätzlichen Hintergrundinformationen, die du als Autor*in hast, nicht verfügt, sondern sämtliche Eindrücke aus der vorhandenen Beschreibung gewinnt. So wird dir schnell klar, dass die Personen, die sich in einem Raum befinden, wenn deine Erzählfigur eintritt, auch irgendwie miteinander interagieren müssen. Sonst fragt sich dein Publikum, was denn eigentlich mit dieser stummen Nebenfigur ist – in Büchern funktionieren Statisten nicht. Andersherum ist es verwirrend, wenn plötzlich eine Person spricht, die vorher von der Erzählstimme gar nicht erwähnt wurde – obwohl sie offenbar schon länger neben der Hauptfigur gestanden haben muss. Diese Betrachtungsmethode hilft dir auch bei der Perspektivwahrung. Möchtest du etwas beschreiben möchtest, das die Figur, die erzählt, eigentlich nicht sehen kann, kannst du ihr nicht mitten im Buch hellseherische Fähigkeiten verleihen. Benutze stattdessen einfach Kniffe wie eine „Mauerschau“, also jemanden von außen, der von dem abwesenden Ereignis berichtet.
Übung macht den Meister – und die Meisterin
Solch eine Distanz zu deinen Figuren aufzubauen ist schwierig und erfordert Selbstdisziplin. Versuch dir einfach immer wieder visuell vorzustellen, wie du einen Schritt zurücktrittst –aus der Handlung heraus – und den Plot als reine*n Zuschauer*in betrachtest. Dann bekommst du ein Gefühl dafür. Und für alles andere ist natürlich dein*e Lektor*in da.