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Wie relevant sind Recherchereisen im digitalen Zeitalter?

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Stand mein Bett wirklich in Cornwall?

Heutzutage findet man im Internet Informationen über alles und jeden. Das ist für uns Schreibende sehr praktisch, und auch ich greife häufig darauf zurück. Doch das Gefühl für eine Gegend, für ihre Bewohner und die Geschichten, die sich dort hätten abspielen können, entwickelt sich bei mir vor Ort am besten. Meine Romane spielen auf der größeren der britischen Inseln. Land und Leute lernte ich bereits mit neunzehn Jahren während eines Sprachaufenthaltes in London kennen. Beeindruckt hat mich damals schon die respektvolle und freundliche Art der Briten und natürlich ihr Humor, der manchmal wirklich ziemlich schwarz ist. Die Idee, einen Roman zu schreiben, kam mir aber erst später – während eines Urlaubs mit meinem Mann in Cornwall. Besonders gut hat es mir dort am Lizard Point gefallen. Das Meer, die Klippen und diese Weite waren einfach umwerfend für ein Mädel aus der kleinen gebirgigen Schweiz. Schnell wurde mir klar, dass mein Roman in dieser Gegend spielen muss. Typisch englisch sind natürlich auch die zahlreichen Bed & Breakfasts und so stand rasch die Idee für »Ein Bett in Cornwall« bereit. Aber euch kann ich es ja verraten: Ich habe noch nie selbst ein Bed & Breakfast von innen gesehen.
Recherchereise Alexandra Zöbeli: Lizard Point

Vom Zufall inspiriert

Für »Ein Ticket nach Schottland« stand ein echter schottischer Garten Pate. Allerdings auf der anderen Küstenseite Schottlands als der im Buch von mir beschriebenen. Der Originalgarten befand sich in der Nähe von St. Andrews, und ich habe ihn nur per Zufall entdeckt, als ich einfach einem Straßenschild gefolgt bin. Der Garten hatte mich gleich verzaubert. Zum einen, weil er direkt am Meer lag, und zum anderen, weil er einfach wunderschön angelegt war und auch glückliche Schweine in einem Gehege die Erde mit ihren Steckdosenschnuten durchwühlten. In einem britischen Garten sind Schweine eher untypisch, und ich wäre daher nicht auf die Idee gekommen, sie in eine Geschichte einzubauen, hätte ich es nicht live und in Farbe gesehen. Zu Hause fand ich im Internet heraus, dass in diesem Garten Praktikanten aus aller Welt aufgenommen werden, um zu lernen, wie man so eine Anlage unterhält. Das Nobelhotel auf dem Gelände habe ich allerdings ganz frech dazu erfunden.

Recherchereise Alexandra Zöbeli

Ein Mix aus Realität und Fiktion

Für das Schloss in »Die Rosen von Abbotswood Castle« hatte ich Drummond Castle vor Augen. Hui, war das gruselig an diesem Tag, als ich es besichtigen wollte. Es regnete Bindfäden und die Straße war von dicken alten Bäumen gesäumt, die kaum Licht hindurch ließen. Der Weg führte endlos lange einen Hügel hinauf, und ich glaubte schon, mich verfahren zu haben. Es war düster und das, obwohl es früher Nachmittag war. Auch die hohen Schlossmauern wirkten auf mich ziemlich bedrohlich und so war ich ehrlich gesagt gar nicht so traurig, dass ich diesen unheimlichen Ort nicht von innen besichtigen durfte, weil die Herrschaften gerade im Haus waren. Das Dorf, in das ich das Schloss in meiner Geschichte verpflanzt habe, gibt es nicht wirklich. Aber ich habe schon einige britische Dörfer und Städte gesehen, sodass es mir nicht mehr schwerfällt, sie zu beschreiben. In anderen schottischen Schlössern habe ich die typischen Gespenstergeschichten zu hören bekommen. Wieder zu Hause konnte ich schließlich einfach nicht widerstehen, so ein Gespenst in meine Geschichte einzubauen.
Recherchereise Alexandra Zöbeli

Nah an der Realität

Michaelchurch Escley am Fuße der Black Mountains gibt es wirklich, und auf der Farm, die ich in »Der Himmel über den Black Mountains« beschreibe, haben mein Mann und ich Urlaub gemacht. Mir war bei der Anreise noch nicht klar, dass ich hier eine Geschichte ansiedeln würde, diese Idee entstand erst vor Ort. Die echte Farm beherbergte zahlreiche Tiere, darunter Wollschweine, Hühner, Laufenten, Perlhühner, Pferde, Rinder und sieben Hunde. Da lag die Geschichte des Tiergnadenhofs ziemlich nahe.

Braucht man Recherchereisen im Zeitalter von Google Earth und Co.?

Meiner Meinung nach sind Recherchereisen sinnvoll, selbst wenn meine eigenen nicht wirklich geplant stattfinden. Das heißt, ich gehe nicht mit einem bestimmten Thema im Kopf auf Reisen, sondern lasse mich eher umgekehrt von ihnen inspirieren. Ich mache mir stets – egal wo ich bin – gedankliche Notizen, die ich beim Schreiben wieder abrufen kann. Wenn ich unsicher bin, kann ich später das Internet fragen und den Sachverhalt überprüfen. Das Internet weiß vieles und ist eine große Hilfe, aber es kann nicht darstellen, wie es irgendwo riecht, wie etwas schmeckt, oder welche Gefühle mich an einem bestimmten Ort überkommen. Daher kann ich nur jedem zu realen Recherchereisen raten. Denn wenn einer eine Reise tut, hat er etwas zu erzählen, bzw. zu schreiben.
Recherchereise Alexandra Zöbeli


Autorin Alexandra ZöbeliÜber die Autorin

Alexandra Zöbeli lebt gemeinsam mit ihrem Mann im Zürcher Oberland in der Schweiz. Sie bekennt sich selbst als Britoholikerin — verrückt nach allem, was von der Insel kommt. Für Alex gibt es kaum etwas Schöneres, als die verschiedenen Ecken Großbritanniens zu entdecken und sich dabei vorzustellen, welche Geschichte sich an Ort und Stelle gerade abspielen könnte. Seit sie das Schreiben für sich entdeckt hat, leidet zwar der Haushalt, aber zumindest hat ihr Kopfkino endlich ein Ventil erhalten. Unter der Aufsicht ihres Katers Noah, der mit Vorliebe neben Alex‘ Laptop schläft, sind bisher fünf Romane entstanden.


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